Die Energiewende im Gebäudesektor erfordert es, Häuser besser zu dämmen. Bei dichter Bebauung kann das aber zu Schwierigkeiten führen: Darf mein Nachbar seine auf der Grundstücksgrenze liegende Außenwand dämmen, obwohl die Wärmedämmung dann auf mein Grundstück hinausragt? Mit dieser Frage vieler Eigentümer haben sich jetzt die obersten Zivilrichter befasst.
Karlsruhe. Ob die nachträglich an einem Bestandsgebäude angebrachte Wärmedämmung in das Grundstück des Nachbarn hineinragen darf, ist in vielen Bundesländern landesrechtlich geregelt. Dabei kann solch ein Eingriff ins Eigentumsrecht des Nachbarn auch dann in Ordnung gehen, wenn das Nachbargesetz des Landes die Duldung nicht an einen längeren Katalog von einschränkenden Bedingungen knüpft. Das hat der Bundesgerichtshof jetzt entschieden (Urteil vom 23.06.2022, Az.: V ZR 23/21) und damit verfassungsrechtliche Zweifel ein Stück weit ausgeräumt.
Geklagt hatte eine Hauseigentümerin aus Berlin. Sie möchte ihr 1906 errichtetes Haus mit einer Außendämmung versehen: Eine 16 Zentimeter dicke mineralische Dämmung will sie an der Giebelwand anbringen lassen, die auf der Grundstücksgrenze steht. Die neue Wärmedämmung würde dann in das Nachbargrundstück hineinragen. Dort steht ein Haus, das 7,50 Meter niedriger ist als jenes der Klägerin. Der Eigentümer möchte die überstehende Dämmung seiner Nachbarin nicht zulassen. Daher zog diese vor Gericht, um die Duldung einzuklagen.
Nachbarin will Giebelwand an der Grundstücksgrenze dämmen
Mit Erfolg: Das Amtsgericht verurteilte den Nachbarn dazu, die geplante Wärmedämmung zu dulden. Die Berufung vor dem Landgericht Berlin scheiterte. Schließlich schloss sich auch der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe diesem Urteil an – wenn auch mit gewissem Unbehagen. Denn: Das in diesem Fall heranzuziehende Nachbargesetz des Landes Berlin legt in § 16a fest, dass Nachbarn eine Überbauung ihres Grundstücks dulden müssen, wenn sie der Wärmedämmung eines an der Grundstücksgrenze stehenden Bestandsgebäudes dient.
Im Lichte dieser Regelung ist der Nachbar im vorliegenden Fall eindeutig dazu gezwungen, die Wärmedämmung am Nachbarhaus zu dulden. Die Tatsache, dass die Vorschrift aus dem Nachbargesetz in Berlin nicht an weitere Bedingungen geknüpft ist, weckte jedoch Zweifel, ob diese Regelung mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Auch der Bundesgerichtshof hegt diese Bedenken, wie aus der Begründung des Urteils hervorgeht. Schließlich kollidiert der Zwang zur Duldung der Überbauung mit dem Artikel 14 des Grundgesetzes, der das Eigentum gewährleistet.
Wärmedämmung an der Grundstücksgrenze: Eingriff ins Eigentumsrecht
Das Nachbargesetz nimmt in diesem Fall einen Eingriff in die Eigentumsfreiheit vor. Andere Länder machen in ähnlichen Regelungen daher die Duldungspflicht von weiteren Voraussetzungen abhängig – etwa davon, dass die geplante Dämmung die Nutzung des Nachbargrundstücks höchstens geringfügig beeinträchtigen darf. Teilweise wird auch vorgeschrieben, dass die Überbauung nur geduldet werden muss, wenn eine Innendämmung der fraglichen Wand nicht bzw. nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich wäre.
Dass es solche einschränkenden Bedingungen in Berlin nicht gibt, fanden die Richter des BGH verfassungsrechtlich zweifelhaft. Sie stuften ihre Zweifel aber zugleich als nicht gewichtig genug ein, um das Bundesverfassungsgericht deswegen anzurufen. Immerhin, eine Einschränkung zur Wahrung der Eigentumsrechte des Nachbarn kennt das Berliner Gesetz schon: Wenn der Nachbar an die Grenzwand anbauen möchte, darf er laut Berliner Gesetz eine Entfernung der Dämmung verlangen.
Klimaschutz ist im Interesse der Allgemeinheit
Vor allem dient nach der Überzeugung des BGH die gesetzliche Regelung nicht nur dazu, die Rechte zwischen Grundstücksnachbarn zu regeln: In erster Linie soll sie durch ein Ermöglichen von Wärmedämmungen dem Klimaschutz und damit dem Allgemeininteresse dienen. Das wiederum steht im Einklang mit dem Grundgesetz, in dessen Artikel 22a ein Klimaschutzgebot zu sehen ist. Vor diesem Hintergrund kamen die Bundesrichter zu dem Schluss, dass die Berliner Regelung auch verfassungsrechtlich noch als angemessen eingestuft werden kann.
In Nordrhein-Westfalen ist die Frage der Dämmung von Grenzwänden im Nachbarrechtsgesetz (NachbG NRW) geregelt. In dessen § 23a (Wärmedämmung und Grenzständige Gebäude) ist festgeschrieben, dass Nachbarn die Überbauung ihres Grundstücks durch die nachträgliche Wärmedämmung eines bereits bestehenden Nachbarhauses dulden müssen. Das wird aber an zahlreiche Bedingungen geknüpft: Die Dämmung darf nicht über die Anforderungen der Energieeinsparverordnung hinausgehen und eine vergleichbare Dämmung darf auf anderem Wege – also etwa als Innendämmung – nicht mit vertretbarem Aufwand herzustellen sein.
Klare Rechtslange in NRW für Überbau durch nachträgliche Dämmung
Außerdem darf die Dämmung die Nutzung des Nachbargrundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigen, wobei das Gesetz auch gleich den Richtwert vorgibt, dass insbesondere ab einer Überbauung von mehr als 25 Zentimetern von einer wesentlichen Beeinträchtigung auszugehen ist. Außerdem darf der Eigentümer des überbauten Grundstücks die Entfernung der Dämmung verlangen, wenn er an die Grenzwand des Nachbarn anbauen will und das auch baurechtlich zulässig ist. Außerdem muss der Eigentümer für den Überbau durch die Dämmung vom Nachbarn angemessen – maximal in Höhe des Bodenrichtwerts – finanziell entschädigt werden.
Das Urteil des Bundesgerichtshofs im Berliner Fall macht deutlich, dass die Regelung in Nordrhein-Westfalen mit ihren zahlreichen einschränkenden Vorschriften, die dem Ausgleich der Interessen der benachbarten Eigentümer dienen sollen, sicher keine verfassungsrechtlichen Zweifel aufkommen lassen dürfte. Eigentümer in NRW haben also Rechtssicherheit, wenn sie eine Wand an der Grundstücksgrenze dämmen möchten.
Dieser redaktionelle Beitrag wurde von Haus & Grund Rheinland Westfalen verfasst.
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