Eigentümerversammlung ohne Eigentümer: War das in Corona-Zeit zulässig?

Eigentümerversammlung ohne Eigentümer?

Im Herbst 2020 standen WEG-Verwalter vor einem Dilemma: In der Gesetzgebung zum Infektionsschutz hatte man eine Regelung für Eigentümerversammlungen vergessen. Verwalter mussten daher entweder gegen das Infektionsschutzrecht oder gegen das Wohnungseigentumsrecht verstoßen. Sind Beschlüsse aus damals rein per Vollmacht abgehaltenen Versammlungen nichtig?

Verwalterin allein zu Haus: Konnte während der Pandemie eine Eigentümerversammlung ohne Eigentümer Beschlüsse fassen?

Im Herbst 2020 standen WEG-Verwalter vor einem Dilemma: In der Gesetzgebung zum Infektionsschutz hatte man eine Regelung für Eigentümerversammlungen vergessen. Verwalter mussten daher entweder gegen das Infektionsschutzrecht oder gegen das Wohnungseigentumsrecht verstoßen. Sind Beschlüsse aus damals rein per Vollmacht abgehaltenen Versammlungen nichtig?

Karlsruhe. Die Beschlüsse einer pandemiebedingt vom WEG-Verwalter auf Grundlage von Vollmachten in Abwesenheit der Wohnungseigentümer abgehaltenen Eigentümerversammlung sind nicht nichtig. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) jetzt unter Berücksichtigung der besonderen Umstände während der Corona-Zeit entschieden (Urteil vom 08.03.2024, Az.: V ZR 80/23). Ob die Abhaltung einer solchen Vertreterversammlung einen Anfechtungsgrund liefert, ließen die Bundesrichter allerdings offen.

Im konkreten Fall hatte die Verwalterin einer Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) für den 24. November 2020 eine Eigentümerversammlung angesetzt. Angesichts der Pandemie-Situation sollte dabei jedoch nur die Verwalterin selbst anwesend sein, die Wohnungseigentümer durften nicht persönlich erscheinen. Sie sollten vielmehr der Verwalterin die Vollmacht erteilen, für sie abzustimmen, verbunden mit Weisungen zum konkret gewünschten Abstimmungsverhalten.

Allerdings stellten nur 5 der insgesamt 24 Eigentümer solche Dokumente aus. Die Verwalterin hielt die „Versammlung“ trotzdem allein ab und fasste dabei auch Beschlüsse. Sie ließ allen Eigentümern wie üblich ein Protokoll der Eigentümerversammlung zukommen, so dass alle über die Beschlüsse informiert wurden. Einige der Eigentümer, die sich nicht von der Verwalterin per Vollmacht hatten vertreten lassen, hielten die Beschlüsse für nichtig und zogen dagegen vor Gericht. Das Verfahren ging bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe.

Vertreterversammlung nur im Einvernehmen

Die Bundesrichter stellten fest: Eine reine Vertreterversammlung, wie sie hier durchgeführt worden war, kann durchaus Beschlüsse fassen. Das geht aber nur, wenn auch wirklich alle Eigentümer einverstanden sind. Das war hier eindeutig nicht der Fall gewesen. Daher hätte die Versammlung nach dem Wohnungseigentumsrecht betrachtet in Präsenz abgehalten werden müssen. Mit der hier gewählten Einberufung und Durchführung der Eigentümerversammlung hatte die Verwalterin also gegen das WEG-Recht verstoßen.

Dadurch sind die Beschlüsse aber nicht gleich nichtig, befand der BGH. Ein Beschluss einer Eigentümerversammlung ist nämlich nach dem Wohnungseigentumsgesetz (§ 23 Abs. 4) nur dann nichtig, wenn er gegen eine Rechtsvorschrift verstößt, auf deren Einhaltung rechtswirksam nicht verzichtet werden kann. Das sah der BGH in diesem Fall als nicht gegeben an: Die Formvorschriften für die Durchführung von Eigentümerversammlungen sind nach Ansicht der Richter nämlich nicht zwingend, Abweichungen könnten vereinbart werden.

Pragmatischer Umgang mit unauflösbarem Dilemma

Die Richter verwiesen auf die außergewöhnliche Situation in der Pandemie: WEG-Verwalter standen vor dem Dilemma, entweder gegen die Gesetzgebung zum Infektionsschutz oder gegen das WEG-Recht verstoßen zu müssen. Den Ausweg mit der Vertreterversammlung hielt Karlsruhe in dieser Situation für pragmatisch, denn so konnten immerhin Beschlüsse gefasst werden. Das habe auch im Interesse der Wohnungseigentümer gelegen. So hielt der BGH es nicht für angebracht, die Beschlüsse hier als nichtig einzustufen.

Allerdings kann ein Beschluss, der nicht nichtig ist, grundsätzlich durchaus anfechtbar sein. Insofern drängt sich hier die Frage auf, ob allein die Durchführung der Eigentümerversammlung als reine Vertreterversammlung einen Anfechtungsgrund liefert. Diese Frage blieb im vorliegenden Verfahren allerdings unbeantwortet: Eine Anfechtung muss innerhalb einer vierwöchigen Frist erfolgen. Diese Frist hatten die Kläger in diesem Fall nicht gewahrt, daher musste der BGH dieser Frage nicht nachgehen.

Dieser redaktionelle Beitrag wurde von Haus & Grund Rheinland Westfalen verfasst.

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